Der Geschichte-LK bei Frau Nickl

Geschichte-LK bei Frau Nickl

Ein Morgen, der Historie gewidmet: Kurz nach 8 Uhr sperrt Herr Hacker vom benachbarten Wirtschafts-LK voller pförtnerhaftem Pflichtbewußtsein die Tür des stets verschlossenen Raumes A24 auf. Ja, unser Unterricht fand im Kunstsaal statt. Oh, wie wir diese Stühle lieben lernten! Bald darauf erschien dann auch die mit unserem heutigen Unterrichtsmaterial schwer beladene Frau Nickl. Hier sei erwähnt, daß der tolle, neue Kopierer sogar geordnete, zusammengeheftete Stapel ausspucken kann. Wohlgemerkt bei richtiger Bedienung, denn was alles, etwa in Folge einer unsachgemäßen Folienkopierung geschehen kann, weiß man ja mittlerweile … Außerdem befürchten wir immer noch eine bald fällige Nachzahlung des Kopiergeldes. Für die kommenden 45 Minuten, also bis zur wohlverdienten Pause, war nun unsere Schnellschreibfähigkeit gefordert. Man erstickte beinahe in geschichtlichem Fachwissen. Wer das Glück hatte, selbst einmal zu Wort zu kommen, mußte sich beeilen, denn sobald man alle wesentlichen Fakten genannt hatte, fuhr der Unterricht auch schon fort, ohne auf eventuelle Zusatzinformation von Seiten des Schülers Rücksicht zu nehmen. Durch dieses straffe Zeitmanagement war es Frau Nickl auch möglich, die wichtigsten Angelegenheiten so oft anzusprechen, daß sich wirklich jeder diese merken konnte, ja merken mußte. Man sieht also, daß die im Großen und Ganzen guten Noten unserer Gruppe nicht auf leichte Schulaufgaben oder fehlenden Anspruch des Kurses zurückzuführen sind, sondern auf eine erstklassige Vorbereitung.
Doch zurück zum Unterrichtsverlauf. Das Halbzeitläuten um 8.45 Uhr nutzte Frau Nickl dazu, noch schnellstmöglich das aktuelle Kapitel zu beenden, um dann den gestreßten Schülern mit ihren, vom vielen Schreiben schmerzenden, Händen eine Pause zu ermöglichen. Manche begnügten sich mit einem Gemisch aus Wasser, brauner Farbe und einer Art Bauschaum (euphemistisch „Kaffee“ genannt), welches aus dem Automaten gezapft wurde oder mit einem schnellen Toilettengang. Der Harndrang war bei einigen Kursteilnehmern bisweilen besorgniserregend stark. Aber für diejenigen, die ein Treffen mit ihrer besseren Hälfte einschoben, bzw. schnell das Frühstück vom Bäcker gegenüber abholen mußten, geriet diese Pause oft zu kurz. Frau Nickl pflegte in solchen Fällen mit dem Unterricht trotzdem schon fortzufahren. („Die Wichtigsten sind ja schon da.“) Daß die Stunden selten langweilig wurden, lag zum Großteil an dem sehr feinsinnigen und spitzen Humor unserer Lehrerin. Eine besondere Schwäche hatte sie für Wilhelm II. und den „Hutständer“ Franz von Papen. Warum? Wählt den nächsten zur Verfügung stehenden Geschichts-LK, sofern ihr noch die Wahl habt und man wird euch die Augen öffnen.
Erheiternd waren außerdem die Telekolleg-Videos, in denen geschichtliche Vorgänge unheimlich detailliert nachgestellt wurden. Als Moderator fungierte ein hochaufgeschossener Herr in bauschigen Tweed-Hosen, der allein schon einen Lacher wert war. Daneben spielten die kostümierten Laienschauspieler ihre Rollen mit einer Mischung aus Authentizität und übertriebener Deutlichkeit vor. Oft war eine Unterscheidung der politischen Couleur schon anhand der Bartlänge möglich.
Und natürlich die Reisen, oder nennen wir es besser unterrichtsvorantreibende Fortbildungsfahrten. Geschichte ist nun mal eine Wissenschaft, bei der es einiges zu entdecken gibt. Wobei wir dennoch viel ausgelassen haben. Wir waren weder in Frankfurt, noch in Wien oder gar in Versailles. Auch München ließen wir aus, was vielleicht an der Abneigung unserer LK-Leiterin gegenüber Bayern liegt (nur als Thema im Unterricht, versteht sich), denn letztendlich hinkte jenes Land, welches seit geraumer Zeit unser schönes Franken besetzt hält, mehr als oft hinter der allgemeinen Entwicklung her. Selbst Jalta, ja nicht einmal Stalingrad, konnten wir in der begrenzten Zeit bereisen. Dabei spielen all diese Orte eine große Rolle in der jüngeren deutschen Geschichte. Was hoffentlich keine Neuigkeit für euch Grundkursler darstellt.
Der Neid unserer Jahrgangsgenossen durfte sich dafür an Berlin, Nürnberg, Mödlareuth und Buchenwald, resp. Weimar entzünden. Sicherlich waren das mehr Ausflüge, als alle anderen Leistungskurse vornahmen [Anm. d. Red.: Alle anderen Leistungskurse zusammen!], aber angesichts dessen, was wir nicht schafften, wird doch jeder verstehen: Es war nur ein Tropfen auf den heißen Stein!
Einen Teil der Reisefinanzierung hatten wir dem Hof-Jena-Projekt zu verdanken. Auch das Kultusministerium sponserte so manches, aber zum Glück wollten uns weder Frau Hohlmeier, noch Herr Schily begleiten. Anders sah es da bei einigen Schülern unseres Partnergymnasiums in Jena aus. Und so besuchten wir mit den Jenensern einige der oben genannten Orte.
In der KZ-Gedenkstätte Buchenwald wurden wir mit Problemen des Gedenkens konfrontiert. So stellten manche unserer Mitreisenden Kerzen an einem Denkmal in Buchenwald ab, welches wie ein Ehrenmal für eine siegreiche Fußballmannschaft aussah, wobei das Pathos schon fast in Strömen floß. „Passive Betroffenheit“ von unserer Seite. Mehr war angesichts des sterilen Geländes, welches die Sowjets nach dem Krieg dort errichteten, aber auch nicht möglich. Schließlich helfen abstrakte Gedenkstätten nicht unbedingt bei der Aufarbeitung der deutschen Geschichte, geschweigedenn beim durchaus angebrachten Gedenken an Opfer von Krieg und Terror. Ost und West sind wohl leider immer noch durch immense Mauern, die nun nicht mehr mitten durch Deutschland, sondern durch die Köpfe verlaufen, getrennt. Außerdem wurden unsere analytischen Fähigkeiten in der sehr dürftig ausgestatteten „Bibliothek“ der Gedenkstätte gefordert.
Geschichtliche als auch anderweitige Fertigkeiten wurden auf der Reise nach Nürnberg erlernt. Zum Beispiel war es ein kränkelnder preußischer Stechschritt, welcher von einem Oberfranken ausgeführt werden sollte und so verständlicherweise nichts werden konnte, uns aber dennoch in Verzückung versetzte.
In Mödlareuth war es die von Frau Nickl vorgetragene Geschichte über das Modebewußtsein an ihrem vorherigen Gymnasium in Mellrichstadt und ein äußert spannender Diavortrag, welcher dem erstaunten Auditorium unter Anderem zeigte, daß ein Trampelpfad im Sommer völlig anders wirkt, als eben dieser im Herbst oder gar im Winter.
Von Berlin ist eine Stadtrundfahrt mit dem fachkundigen Busfahrer Miro zu nennen und auch die Odyssee dreier tapferer Recken, welche sich aufmachten die Siegessäule zu besteigen, während sich so manch anderer lieber mit „modischen“ Kopfbedeckungen ausstattete. Besonders muß hier Tobias E. erwähnt werden, der durch seine unmotivierte Absage der Reise uns die Mitfahrt eines außenstehenden Mitschülers bescherte. Wenn ihr wissen wollt wer dies war, dann schaut euch einfach nach auffallenden Kopfbedeckungen um. Bei jeder Gelegenheit stellte dieser Fragen oder mußte einfach seinen Senf zu allem und jedem loswerden und so zog sich mancher Reiseabschnitt nicht unerheblich in die Länge. Im Reichstag bot sich für ihn die Bühne zu einer Fragestunde mit einem Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Petra Ernstberger. Er stellte viele, jeweils nur um Nuancen veränderte Fragen an den Mitarbeiter und dieser antwortete mit einer jeweils nur um Nuancen veränderten Standardantwort. Allen anderen Mitfahrenden blieb nur noch das resignierende Kopfschütteln.
Insgesamt kann man hoffentlich erkennen, was für ein fabelhafter Kurs unser Geschichts-LK war. Der Dank dafür muß an Frau Nickl gehen, die uns viele erbauliche Stunden bescherte und uns außerdem bestmöglich auf das Abitur vorbereitete. Wollen wir nur hoffen, daß uns das Kultusministerium nicht bajuwarische Fragen vorsetzt!

Post Scriptum: Alle Ausflüge, die wir im Rahmen des Geschichts-LK unternahmen, waren erheblich weniger feuchtfröhlich, als dies bisweilen aus fraglichen Quellen zu vernehmen war. Das könnt ihr uns glauben. Ehrlich!

M. A. D., S. K., C. S., D. F., B. K., D. K., M. T., A. M., K. L., S. F.